Nokia N900 - seit 2005 geplant?
Ich seh das alles metaphysisch.)
Peter Schneider ist für das Marketing der Maemo-Software-Abteilung bei Nokia zuständig. Er schreibt vor wenigen Stunden im Userforum so ganz nebenbei:
[…] the influence of Maemo Software will actually grow starting from 1st of June when we will become Maemo Devices, when our hardware, software and product integration folks are joined to one unit being able to work together even better and faster.
Das war bisher nicht bekannt und ist eigentlich eine viel größere Sensation als die „N900“-Gerüchte: Ab 1.6.2009 organisiert Nokia um. Statt der bisherigen Abteilung für Maemo Software, die die Plattformentwicklung für die Tablet-Reihe vorangetrieben hat und nicht mit Hardware-Designs betraut war, gibt es eine neue Abteilung „Maemo Devices“. Plural. Inklusive Hardware und Produktintegration.
So etwas tut man nicht, wenn man einfach nur einer seit 2005 existierende Produktserie für einen kleinen Nischenmarkt ein weiteres Modell hinzufügen möchte. Umorganisationen sind immer teuer und unangenehm. Die führt man durch, wenns auch was bringt. Womit wir wieder bei der Rolle wären, die die Plattform Maemo bei Nokia in Zukunft spielen wird - und bei der Frage, ob es wirklich nur ein „N900“ oder womöglich gleich mehrere Geräte (siehe RX-71) geben wird.
Nach den Diskussionen der letzten Tage, die ich mit Nokia-Mitarbeitern (und vor allem mit Ex-Nokia-Mitarbeitern) geführt habe, bin ich ziemlich sicher:
- Es wird mehr als ein Gerät geben.
- Nokia wird versuchen, auf Basis von Maemo eine Geräteklasse oberhalb von Symbian/S60 (und in direkter Konkurrenz zu Android) zu positionieren.
- Das alles war seit 2005 so geplant. Sie haben es uns auch gesagt, aber keiner hat zugehört.
Die Chronologie liest sich im Nachhinein wie ein langweiliger Krimi: vorhersehbar ab der ersten Seite.
- November 2005: Nokia bringt ein auf GNU/Linux basierendes „Internet Tablet“ auf den Markt. Es ist das erste Gerät mit der auf Debian basierenden Distribution Maemo. Nokia verzichtet zum völligen Unverständnis aller damaligen Marktbeobachter auf vieles, was man als selbstverständlich erachtet hätte: GSM-Telefonie, Office-Unterstützung, Termin- und Kontaktverwaltung … auch in den folgenden Produktiterationen werden diese Features nicht nachgereicht, obwohl Nokia sowohl das Know-How als auch portierbaren Programmcode im Haus hat. Verkaufsziel im Business Case: 2.000 Stück. (Aufgrund von Lieferschwierigkeiten und später bekannt gewordener Stückzahlen liegt nahe, daß dieses Verkaufsziel um ein Vielfaches überschritten wurde. Konkrete Zahlen nennt Nokia nicht.) Technikjournalisten sind ratlos, können das Gerät nicht einordnen und erkennen keinen Platz dafür in der Gesamtstrategie von Nokia. Trotz der geringen Stückzahl investiert Nokia laufend in die Software: Zwei große Versionen von Maemo erscheinen für das 770, daneben einige kleine Bugfix-Releases.
- Jänner 2007: Das N800 wird vorgestellt. Es bietet mehr Rechenleistung, vor allem aber auch eine auf Multimedia-Anwendungen hin optimierte Hardware. Softwareseitig erscheint eine dritte Maemo-Version. Noch immer sehen Fachjournalisten den Sinn des Nokia-Engagements in diesem Bereich nicht. Vor allem die offensichtlichen Lücken im Leistungsumfang auch dieses Geräts (z.B. PDA-Funktionen) stoßen auf zunehmendes Unverständnis.
- November 2007: Markteinführung des N810. Es ist etwas kleiner als das N800, hat GPS, eine aufschiebbare Tastatur und ein deutlich besseres Display. Die vierte Version von Maemo erscheint. Im Zuge der Produktpräsentation beantwortet Anssi Vanjoki, Executive Vice President, die Frage nach dem kommerziellen Erfolg mit:
Selling units wasn't the point.
Er hätte ruhig konkreter werden können, externe Schätzungen gingen 2007 von rund 300.000 verkauften Exemplaren aus. (Zur Erinnerung: geplant waren 2.000 für das 770, wahrscheinlich kaum mehr für das N800.) Tatsächlich hat er damit zum ersten Mal ausgesprochen: Nokia ging es bei den Tablets nicht um Markterfolg. Die Existenz der Geräte hatte einen anderen Zweck. (Ich kann mich auch nicht erinnern, daß das Unternehmen die Geräte je aktiv vermarktet hätte.) Bekannt wurde Anssi Vanjoki aber mit einem anderen Zitat aus diesen Tagen: Das N810, sagte er, sei die dritte von fünf Etappen auf dem Weg zu einem wirklich massenmarkttauglichen Gerät auf Maemo-Basis. (Die FormulierungStep three of five
hat dazu geführt, daß Maemo-User immer wieder erklären, sie würden aufStep Seven of Nine
warten. So viel nochmal zu Tablets und Star Trek.) - Jänner 2008: Trolltech, die Firma hinter Qt, wird von Nokia übernommen. Qt ist unter anderem ein System zum Erstellen von grafischen Benutzeroberflächen, hilft aber auch sonst bei der Programmentwicklung. Es ist in der GNU/Linux-Welt beliebt, kann aber auch plattformübergreifend eingesetzt werden. Arbeiten zur Integration von Qt in Maemo sind im Laufen.
- Mai 2008: Nokia „kauft“ sich eine Community und beginnt mit massivem Personalaufbau. Während weltweit Niederlassungen geschlossen und Mitarbeiter in Scharen gekündigt wurden, gibt es vom zweiten Quartal 2008 bis heute praktisch ununterbrochen offene Stellenausschreibungen für GNU/Linux-Entwicklerjobs in Kalifornien, Indien und Finnland. Die externe Community hat man sich buchstäblich erkauft: Neue Infrastruktur für das Community-Portal maemo.org, bezahlte Reisekosten für Community Summits, fünf von Nokia bezahlte, aber von der Community kontrollierte Vollzeit-Mitarbeiter, … Geld scheint überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.
- September 2008: Während des Maemo Summits wird erwähnt, daß die Arbeiten an der angekündigten neuen Version von Maemo (Codename: „Elephanta“) abgebrochen wurden. Beobachter vermuten: Damit wurde auch ein weiteres Tablet, „Step four of five“, übersprungen und alle Energie in das neue Projekt „Fremantle“ (Maemo 5) investiert.
- Oktober 2008: Qt für Symbian/S60 wird vorgestellt. Plattformübergreifende User-Interface-Elemente, die sowohl unter Maemo als auch unter S60 funktionieren, sind damit erstmals greifbar nahe.
- Dezember 2008: Nokia-Manager Ukko Lappalainen erklärt in einem Interview:
In the longer perspective, Linux will become a serious alternative for our high-end phones.
- Gefragt, ob er damit Android meint, antwortet Lappalainen:I don't see anything in Android which would make it better than Linux Maemo.
- Mai 2009: Intel und Nokia veröffentlichen den gemeinsamen, freien, GPL-lizensierten Software-Stack ofono für Mobiltelefonie unter GNU/Linux. Der Nokia-Anteil des Codes, so heißt es, stamme direkt aus dem Maemo-Projekt. Die naheliegende Frage, ob Maemo denn nun doch mit Telefonie-Fähigkeiten ausgestattet wird, beantwortet Peter Schneider mit:
Maemo Software is an R&D unit in Nokia meaning that we work on all kinds of things in research and on engineering level. Whether we go the last mile and bring our work into a product that you could buy depends on for what portfolio segment we use Maemo software.
. Das haben alle damals geglaubt! Da sagt ein von der Wirtschaftskrise gebeuteltes Unternehmen: „Ach, wir forschen halt mal so rum, programmieren hier was und da was, aber ob wirs jemals in einem Produkt vermarkten, ach, wer weiß das schon.“ - und die Leute glauben es! - Juni 2009: Nokia gründet die neue Abteilung Maemo Devices.
Ich gebs zu: Bei der Erwähnung des „Five Step“-Plans hab ich mir schon irgendwie gedacht: Ja, ja, red’ du nur. Three of five, Seven of Nine, alles Humbug. Ein Plan, der 2005 beginnt, Ende 2007 bei Schritt drei angekommen ist und dann wann bitte genau das Stadium eines fertigen Produktes erreichen soll? In einem Geschäft, in dem die Produkte schneller altern als die Milch beim Billa? Eine ganze Produktserie, die de facto nur als großes Versuchslabor angelegt war und mit einem geplanten Absatz von 2.000 Stück fürs erste Modell gestartet wurde? Das kann niemand glauben. Da war ich beim Kopfschütteln wohl in guter Gesellschaft. (Die Zahlen bzgl. geplanter und tatsächlicher Verkaufszahlen stammen übrigens aus dem Artikel Nokia, the N810 Tablet & the Long View von Alistair Croll.)
Wenn die Infos aber tatsächlich zutreffen, die wir derzeit bezüglich des angeblichen N900 und einer neuen „Maemo Devices“-Abteilung bei Nokia haben, dann scheint das alles rücklickend plötzlich völlig plausibel und logisch: Man hat die Tablets bewußt klein gehalten (keine PDA-Funktion, keine Sprachtelefonie), um mit einer überschaubaren Menge technikaffiner Kunden Möglichkeiten der kommerziellen Nutzung freier Software zu erproben. Tatsächlich hat Nokia viel gelernt, es gab Höhen und Tiefen im Projekt und einige unvorhergesehene Kurswechsel. Unter Umständen ist das, was nun durchgesickert ist, bereits „Step 5“. Vielleicht auch erst der vermeintlich übersprungene „Step 4“. Egal was: Die Finnen ziehen ihren Plan aus dem Jahr 2005 durch. Das nenn ich Konsequenz!
Seit vorgestern bin ich offiziell Maemo-Insider
: teczilla.de verlinkt auf mich als Quelle und schreibt Wie Maemo-Insider zu berichten wissen, …
- da kann man dann ruhig nochmal ein Schäuferl nachlegen. ;)
Vor allem aber treibt das Thema den Traffic in die Höhe: Maemo und N900 sorgen für rund 130% mehr Besucher als der Rest der Artikel hier. Und dank der freundlichen Vermittlung von Google Adsense ist Traffic nun mal bares Geld. (Dieses Geld ist das „Aber“ in „Ich bin ja keine Quotennutte, aber …“ *gg*)
Macht unterm Strich: Solang die Kasse klingelt, nehm ich ein paar Gähner in Kauf. (Himmel, was willst denn überhaupt?! Du hattest doch eh vor kurzem jede Menge Eurovision-Content hier, davon kannst Du doch noch monatelang zehren! *gg*)
:))
Beim X1 hast Du für mich recherchiert, und ich hab mir dadurch viel Ärger erspart. Du solltest die Kollegen fluchen hören, die es haben. ;)
Maemo: