Politik und Gesellschaft
neuere Einträge ...Nationalratswahl 2013: Hilfe für Unentschlossene
Er tuts wieder, diesmal mit einer klaren Botschaft an unentschlossene Wähler. Sein Blog-Eintrag „Unentschlossen? Warum ein X bei den Grünen?“ ist für sich allein schon mal lesenswert. Natürlich schreibt er aus der Perspektive eines grünen Kandidaten und wirbt um eine Stimme für die Grünen. Ich nehm mir jetzt einfach mal die Frechheit heraus, seine Grundgedanken herauszulösen. Sie sind nämlich auch dann gültig, wenn man nicht gerade für eine bestimmte Partei wahlkämpft. Hier also, angereichert mit meiner persönlichen Gewürzmischung, die wichtigsten Punkte:
- Geh hin, Teufel noch eins! Gib eine gültige Stimme ab! Nicht zu wählen oder ungültig zu wählen mag kurzfristig so befriedigend sein wie der Tritt gegen den Herd, wenn der Reis angebrannt ist. Besser wirds davon nicht, am Ende tun einem noch die Zehen weh. Irgendjemand wird dieses Land regieren in den nächsten 5 Jahren, ob mit oder ohne Deine Stimme. Versuch zumindest, das Schlimmste zu verhindern, wenn Dich schon nichts wirklich überzeugt.
- Häng Dich nicht auf einem Thema auf. Marco beschreibt das so schön aus seiner eigenen Erfahrung:
Manchmal kommen in einem Wahlkampf Menschen zu mir, die mir sagen: 'Die Grünen kann ich deshalb nicht wählen' und nennen ein Thema. Eines! Und reden nur über dieses.
Da muß ich mich selbst an der Nase nehmen. :) Kann ich die Grünen tatsächlich deshalb nicht wählen, weil sie eine meiner Meinung nach völlig verquere Ansicht zu Gender-Fragen haben? Ist das mein Thema für die nächsten fünf Jahre? Um nochmal Marco wörtlich zu zitieren:Aber ist es nicht doch klüger eine Wahlentscheidung andersrum zu denken? Was ist mir wichtig, was ist meiner Meinung nach für die Entwicklung Österreichs, Europas und des Planeten am Wichtigsten und wer setzt sich dafür ein? […] Wenn man nämlich so denkt – und ich tue das – kann man auch recht entspannt damit leben, dass man mit dem einen oder anderen Punkt im Wahlprogramm nicht übereinstimmt. Das, worum es geht, ist einfach viel viel wichtiger.
Also: Schön brav das große Ganze sehen und nicht die Nadel im Heuhaufen suchen. Den einen Punkt, der mich stört, find ich bei jeder Partei. Das kürzt sich weg. - Scheiß auf den Wahlkampf, echt! Bei Marco liest sich das noch eine Spur freundlicher, aber ich persönlich sag: Wer seine Wahlentscheidung aufgrund des ganzen Kasperltheaters trifft, das in den letzten Wochen vor der Wahl abgezogen wird, der hat schon verloren. Da werden vom politischen Gegner Mücken zu Elefanten aufgeblasen und Parteien entdecken plötzliche Themen für sich, die sie nie angegriffen haben und nach der Wahl auch gleich wieder vergessen werden. Nein, den Wahlkampf muß der Wähler möglichst mit geschlossenen Augen und Ohren durchtauchen. Die fünf Jahre zuvor sind es, die zu beurteilen sind. Da bekommt man doch mit, was (sich) die einzelnen Parteien geleistet haben. Ein Lehrer beurteilt im Abschlußzeugnis auch nicht die Leistung der letzten zwei Wochen (schon gar nicht das Versprechen, daß nächstes Jahr alles besser wird), sondern die des ganzen Schuljahres.
Marco schließt mit einem klaren Aufruf dazu, grün zu wählen. Ich bin da schon bescheidener. Vernünftig wählen, das ist mein großes Anliegen. Keine Proteststimme. Stattdessen die Kräfte stärken, die in den letzten Jahren schon konstruktiv für dieses Land gearbeitet haben. Immerhin: Eine demokratische Wahl ist kein Strategiespiel mit Undo-Funktion. Jede einzelne Stimme beeinflußt unwiderruflich das Leben von 8,5 Millionen Menschen in diesem Land und sollte entsprechend sorgfältig und verantwortungsvoll überlegt sein.
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Sind die Deutschen die besseren Menschen? :)
Irgendwann mal war ich verwirrt. Da waren Politiker, Spitzenkandidaten im Fernsehen zu sehen, alle an einem Tisch. Und sie waren manierlich, höflich, charmant. Jeder einzelne von ihnen konnte ganze Sätze formulieren. Keiner unterbrach den anderen. Jeder beantwortete die Fragen der Moderatoren oder sagte klar Das kann ich jetzt nicht beantworten
, ohne leere Phrasen zu dreschen. Es gab keine Beleidigungen, keine Peinlichkeiten, keine Untergriffe.
Dafuq?! Was ist denn mit denen los? Was haben denn die Piefkes für komische Politiker?!
Kann sich irgendjemand vorstellen, daß so etwas in Österreich funktioniert? Daß z.B. Strache und Stronach an einem Tisch sitzen, ohne peinlich herumzustottern, sich Unflätigkeiten an den Kopf zu werfen und möglichst jede inhaltliche Aussage zu vermeiden? Völlig undenkbar.
Ach ja, Strache und Stronach: Das ist noch ein Unterschied zwischen Deutschland und Österreich. Es gibt diesen Typ von Partei dort nicht. Das Billige, Populistische, die aggressive Bierzeltbewegung der Unterschicht ist im deutschen Bundestag nie angekommen. Bei uns wird sie in Summe von rund 25% der Wähler unterstützt. Woher kommt das?
Ich hab keine Antworten. Aber ich hab zusätzliche Fakten ausgegraben, die zumindest in den Zusammenhang passen.
Sehen wir uns zum Beispiel an, was das für Menschen sind, die an der Spitze der politischen Bewegungen stehen. Was können die eigentlich? Welche Bildung haben sie? Voilà, die Spitzenkandidaten der im deutschen Bundestag vertretenen Parteien mit ihrer jeweils höchsten abgeschlossenen Ausbildung:
Name | Lehre | Matura | Universität oder FH |
Merkel | • | ||
Steinbrück | • | ||
Gysi ¹ | • | ||
Trittin ¹ | • |
¹) Die Linken und die Grünen hatten bis zu acht angebliche „Spitzen“-Kandidaten, die keiner kennt. Man muß nicht jeden Blödsinn mitmachen auf einem kleinen Blog. ;)
Sodale, und jetzt sehen wir uns das mal für Österreich an:
Name | Lehre | Matura | Universität oder FH |
Faymann | • | ||
Spindelegger | • | ||
Strache | • | ||
Glawischnig-Piesczek | • | ||
Buchner | • | ||
Stronach | • |
(Alle Angaben, sowohl für Deutschland als auch für Österreich, habe ich ungeprüft aus Wikipedia übernommen.)
Ist Merkel eine bessere Bundeskanzlerin als Faymann, weil sie Physik studiert hat? Ich weiß es nicht. Das Thema ihrer Diplomarbeit (Der Einfluß der räumlichen Korrelation auf die Reaktionsgeschwindigkeit bei bimolekularen Elementarreaktionen in dichten Medien
) war doch recht weit weg von Euro-Rettungsschirmen. Was ich aber klar sehe: Je höher das Bildungsniveau, desto zivilisierter, sachlicher und angenehmer empfinde ich den Diskussionsstil. Gibt es dazu wissenschaftliche Studien? Sind Menschen mit akademischer Ausbildung tendenziell konstruktivere Diskussionspartner, weil die im Wissenschaftsbetrieb anders gar nicht überlebt hätten? Wenn wer was dazu findet - es tät mich interessieren. Vorläufig bleibt die trockene Feststellung: Deutsche Spitzenpolitiker haben ein um Größenordnungen höheres Bildungsniveau als österreichische.
Das ist allerdings keine Antwort auf irgendetwas. Eher ergibt sich daraus gleich die nächste Frage: Warum ist das so? Warum zieht es in Deutschland gut ausgebildete Menschen in die Politik, während in Österreich gerade mal ein Drittel der Spitzenkandidaten ein mit den deutschen Kollegen vergleichbares Bildungsniveau aufweist?
Eine mögliche Antwort könnte im finanziellen Anreiz liegen. Ein Politiker, der es in Deutschland bis in den Bundestag schafft, erhält derzeit rund € 12.250,- brutto. Davon muß er nur rund € 8.250,- versteuern, der Rest ist offiziell als steuerfreie Pauschalabgeltung für eventuelle Aufwendungen aus seiner Abgeordnetentätigkeit vorgesehen. (Bürokosten, Fahrtkosten, Repräsentation, …) Ob er diese Aufwendungen tatsächlich hat, muß er nicht nachweisen, das Geld bekommt er in jedem Fall.
Sein österreichischer Kollege darf nach dem Bundesbezügegesetz mit € 8.160,- brutto rechnen. Diese sind voll zu versteuern. Eventuelle Ausgaben für Büro, Fahrtkosten usw. müssen gesondert nachgewiesen werden; es werden aber maximal € 490,- pro Monat ersetzt.
Das bedeutet: Ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Abgabensysteme gibt es eine Netto-Differenz von rund € 4.000,- monatlich, die die österreichische Bevölkerung „drauflegen“ müßte, um ähnlich gut qualifizierte Politiker zu beschäftigen wie die Deutschen. Der Wettlauf um die besten Köpfe findet dabei natürlich nicht zwischen deutschem Bundestag und österreichischem Nationalrat statt. Es ist - wie fast immer - ein Kampf zwischen den Unternehmen und den Bürgern dieses Landes. Wenn irgendwo ein besonders vielversprechendes Talent auftaucht, zahlt ihm die österreichische Bevölkerung € 8.160,- brutto für einen den Job im Parlament. Raiffeisen, OMV, Wienerberger oder Uniqa müssen nur minimal drauflegen (€ 200,-, € 300,-) und haben sie oder ihn schon bei sich - um geschätzte und gerundete € 8.500,-. In Deutschland müßte ein potentieller privater Arbeitgeber stattdessen dem jungen Talent zusätzlich zumindest den Entfall der unversteuerten Pauschalabgeltung vergüten. Statt (wie in Österreich) € 8.500,- muß ein privater Arbeitgeber in Deutschland seinem neuen Mitarbeiter also dann in Summe (Daumen mal Pi) € 16.200,- brutto zahlen, um ihn zum Verlassen des Bundestages zu überreden.
Heißt: Die deutsche Politik holt ihren Nachwuchs aus dem Pool all jener, die von Privatunternehmen weniger als € 16.200,- monatlich geboten bekommen. Die österreichische hingegegen muß sich zufrieden geben mit denen, die unter € 8.500,- verdienen würden am Markt. Das ist natürlich nach wie vor viel Geld - vor allem dann, wenn man verhältnismäßig schlecht ausgebildet ist.
Meine Theorie ist jetzt mal: Die Deutschen leisten sich höhere Gehälter für ihre Politiker. Dafür bekommen sie auch tatsächlich deutlich besser ausgebildetes Personal und müssen sich nicht mit TV-Diskussionen abquälen, die wie Sozialpornos auf ATV wirken und unterhalb jeder Geschmacksgrenze sind.
Oder hat jemand eine bessere Erklärung? Ist es vielleicht nur deswegen so, weil der Bierverbrauch pro Kopf in Österreich deutlich höher ist als in Deutschland? :)
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Nationalratswahl 2013: Wahlhelfer der Wiener Zeitung
Wieder hilft die Wiener Zeitung mit ihrem Wahlhelfer aus. Die Ergebnisse ändern zwar nichts am ersten Platz, also an der grundsätzlichen Wahlempfehlung, fühlen sich für mich aber doch insgesamt richtiger an. Außerdem sind die Fragen nicht ganz so irrelevant. Man empfiehlt mir:
Partei | Wiener Zeitung | Wahlkabine |
Grüne | 18% | 24% |
SPÖ | 15% | 11% |
KPÖ | 14% | 22% |
Piraten | 13% | 18% |
FPÖ | 13% | 0% |
NEOS | 11% | 14% |
BZÖ | 9% | 4% |
ÖVP | 6% | 0% |
Team Stronach | - | 8% |
Vorweg: Das Team Stronach konnte die Fragen der Wiener Zeitung selbst nicht beantworten. Es gibt also im Wahlhelfer keine Empfehlungswerte für diese Partei. (Das sagt durchaus etwas über deren „inhaltliche” Positionierung aus.)
Die Reihenfolge bleibt für die meisten Parteien gleich: Grüne vor KPÖ, Piraten, NEOS, BZÖ und ÖVP. Große Änderungen gibts bei SPÖ und FPÖ: Die Sozialdemokraten machen einen großen Sprung vom fünften (lt. Wahlkabine) auf den zweiten Platz, die FPÖ rettet sich vom letzten auf den fünften Platz und damit noch vor NEOS, BZÖ und ÖVP.
Insgesamt entspricht dieses Ergebnis eher meinem Bauchgefühl. Die SPÖ steht mir näher, als die Wahlkabine dies vermitteln wollte. Dafür kann ich mit Piraten und NEOS weniger anfangen, als ich es laut Wahlkabine sollte. Außerdem bin ich nicht ganz so weit links, wie die Wahlkabine mir nahelegen wollte: Dort hätte ich die „rechten“ Kräfte (also FPÖ, BZÖ, ÖVP, NEOS und TS) auf 26% dezimiert. Beim Wahlhelfer bleiben dem rechten Lager immerhin 39%. Wiener Zeitung sei Dank. :)
Bin gespannt, ob dieser Wahlhelfer (und/oder die Wahlkabine) auch bei meiner verehrten Leserschaft die (hoffentlich bereits getroffene) Wahlentscheidung unterstützt. Bei der letzten Nationalratswahl war das, soweit ich mich erinnern kann, ja nicht immer so. Da gabs Leute, die trotz großer Übereinstimmung mit den Parteien A und B dann doch eine Partei C gewählt haben …
(Was ich übrigens auch schon mal gemacht hab. Da gabs von der Wahlkabine eine Empfehlung auf Landesebene, die ich absolut nicht nachvollziehen konnte.)
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Umfragen Nationalratswahl 2013
Jein.
Die Seite wahlfang.at konsolidiert verschiedene Umfragen und stellt sie laufend aktuell und seriös dar. Seriös heißt: Es gibt nicht einen Wert pro Partei, sondern den Mittelwert mit Schwankungsbreite - und die liegt bei rund 6%.
Das bedeutet zum Beispiel für den Fall, daß heute Wahltag wäre, eine ganze Menge an Unsicherheiten:
- Die ÖVP kann stärkste, zweit- oder drittstärkste Partei werden. Sie kann von der FPÖ überholt werden oder die SPÖ überholen.
- Das BZÖ kann den Einzug in den Nationalrat klar verfehlen oder mit 6% die Hürde locker schaffen und noch vor dem Team Stronach liegen.
- Das Rennen zwischen FPÖ und den Grünen ist offen. Jede der beiden Parteien kann derzeit stärker als die andere sein - man weiß es einfach nicht. Während die Grünen dabei aber nur die Chance auf den dritten Platz haben (nach SPÖ und ÖVP), könnte die FPÖ sogar auf Platz zwei hinter die SPÖ rutschen.
Das ist doch ein ganz anderes Bild als das, was Zeitungsüberschriften zu suggerieren versuchen. Dort liest man ja nur einen „sicheren“ Prozentwert oder „SPÖ 3 Prozentpunkte vor ÖVP“. Schmarrn. Das mögen die Werte mit den höchsten Wahrscheinlichkeiten innerhalb der Schwankungsbreite sein. Aber wir wissen ja, wie das mit der Wahrscheinlichkeit ist: Wenn man das eine vergammelte Joghurt erwischt hat im Kühlregal, dann nutzts einem auch nichts, daß die Wahrscheinlichkeit dafür gering war. Tatsächlich ziemlich sicher hingegen ist (wieder unter der Annahme, daß heute gewählt wird):
- Team Stronach schafft die 4%.
- Grüne liegen vor Team Stronach.
- Die SPÖ hat als einzige Partei die Chance auf über 30%.
Wie gesagt, alle Angaben beziehen sich auf den momentanen Umfragestand. Die oben verlinkte Seite zeigt, wie sich die Kurven in den letzten drei Monaten bereits geändert haben. Da ist also noch nichts in Stein gemeißelt. Das ist der zweite Punkt, auf den wahlfang.at brav hinweist: Man kann mit einer gewissen Schwankungsbreite sagen, was die Wähler heute wählen würden. Man kann nicht sagen, was sie in zwei Wochen wählen werden. Zusätzlicher Unsicherheitsfaktor sind die vielen Kleinstparteien, die nicht berücksichtigt sind, weil sie von den Meinungsforschern nicht regelmäßig abgefragt werden.
Interessant nebenbei: Die Tendenz gegenüber der letzten Woche ist für alle Parteien fallend, nur SPÖ und Grüne haben bessere Werte als zuvor. Und: Über die letzten drei Monate hat die ÖVP in den Umfragewerten am stärksten verloren, die FPÖ am stärksten gewonnen.
Was heißt das unterm Strich? Daß man selbst zwei Wochen vor der Wahl jede Umfrage ungschaut ignorieren kann, die einem ein bestimmtes Wahlergebnis vorherzusagen versucht. Es ist alles drin. Die ÖVP kann stärkste oder drittstärkste Partei sein, die FPÖ zweit- oder viertstärkste, … Sind Umfragen nichts wert und immer falsch? Jein. Bei dieser Schwankungsbreite wirds wahrscheinlich schwer sein, ganz daneben zu liegen. Aber so rasend viel wert ist die Info dann auch nicht. Da geh ich lieber hin und beeinflusse das Ergebnis höchstpersönlich, statt mich nach einer Umfrage drauf zu verlassen, daß eh alles gut wird. :)
Gegen NSA, Prism und Co.
Obwohl die Demo von einem recht breiten politischen Spektrum unterstützt wurde (angefangen von der KPÖ bis hin zu den NEOS, die ja mittlerweile sogar die ÖVP rechts überholen), waren hier in Wien nur magere 500 Leute dem Aufruf der Veranstalter gefolgt. (Zum Vergleich: In Berlin gabs zur gleichen Zeit 20.000 (!) Teilnehmer.)
Was zeigt uns das? Die Parteien, die diesbezüglich Dreck am Stecken haben und das Thema grad im Wahlkampf nicht brauchen können, konnten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von NSA und Prism weg und erfolgreich auf ein völlig nebensächliches Nicht-Thema lenken: die Mariahilfer Straße. Wie aus dem Lehrbuch. Obwohl jeder einzelne Österreicher durch den Überwachungswahnsinn massiv betroffen und in seinen Rechten beschnitten ist, gehen hierzulande nur 500 zur Demo. Zum von der rechten Ecke konstruierten „Aufreger“ Mariahilfer Straße, von dem grad mal ein paar hundert Anrainer irgendwie (positiv oder negativ) betroffen sind, kann dagegen mittlerweile jeder Burgenländer seinen Senf abgeben. Bis vor kurzer Zeit war die Frage, wie viel die (gegenwärtigen und früheren) österreichischen Regierungsparteien von der umfassenden Bespitzelung durch die NSA wußten, noch in aller Munde. Praktischerweise konnten genau die Parteien, die hier Erklärungsbedarf haben, ein Saure-Gurken-Thema zur Ablenkung präsentieren. NSA? Prism? Kein Mensch kann sich mehr erinnern.
(Was mich wieder mal sagen läßt: Zu blöd für die Demokratie. Und: Wer heut nicht dabei war vor dem Parlament, braucht nie mehr wieder über den bösen, bösen Überwachungsstaat schimpfen.)
Anyway. Angeregt vom angenehm süßen Duft bei der Demo gingen wir anschließend auf einen Kakao ins Landtmann. Wie sich das halt so gehört nach einer von KPÖ und Grünen mitorganisierten Demo. *LOL*
Was für eine Welt! Extrem witzig. Schräge Leut. Zerfurchte alte Frauen in mit Clownschminke im Gesicht - extrageil! Leider kann man das vom Kakao nicht behaupten (obwohl er grundsätzlich nicht so schlecht war): Kinders! Ich bitt Euch! Erstens serviert man zum Kakao mit Schlag einen Kristallzucker, keinen Würfelzucker. Wie soll ich denn mit dem Würfelzucker die Schlagobershaube zuckern?! Zweitens darf man das Schlagobers nicht so fest schlagen, Himmel noch eins! Da schwappt ja der Kakao nach allen Seiten über, sobald man mit dem Löffel reinfährt oder eben den Würfelzucker drin versenkt. Dann schon lieber fluffige Sprühsahne aus der Dose. Drittens wär, grad deswegen, ein dezentes Papierserviettchen praktisch. Kakao verursacht generell - und umso mehr mit Schlag - einen Milchbart, den sich der Anti-Überwachungs-Demonstrant von Welt gern auch vom Schnutchen wischen tät. Hach! Groß auf Wiener Kaffeehaus tun und dann bei den einfachsten Dingen versagen. :)
Heimmarschiert sind wir nochmal den Ring entlang, fleißig die Titelmelodie des Ringstraßenpalais pfeifend, an dessen Drehort wir ja dabei vorbeigekommen sind. Was für ein Nachmittag! Demo mit süßem Duft, Landtmann mit Schlagobers und dann das Palais Artenberg bzw. Baumann. Schwindlig werden könnt einem. ;)
Faktencheck Mariahilfer Straße
Von ihren Gegnern, allen voran SP-nahe Gewerkschafter und die FPÖ, werden Szenarien gezeichnet, die mit den Verhältnissen vor Ort nichts zu tun haben. Diese Märchenstunde funktioniert, weil ganz Österreich online an der Diskussion teilnimmt, sich aber nur etwa 250.000 Menschen pro Woche eine eigene Meinung bilden können.
Was aber noch mehr auffällt: Die Diskussion wird von aberwitzigen „Argumenten“ bestimmt, bei denen einem die Luft wegbleibt. Ist eine Fußgängerzone mit Radfahrern eine echte Fußgängerzone? Kann sich denn in den Begegnungszonen überhaupt noch jemand auskennen, was man darf und was nicht? Was sollen, bitte, die gelben Linien bedeuten? Wieso fährt ein Bus durch die Fuzo, darf der denn das? - Bei allen diesen Dingen gehts immer wieder darum zu behaupten: Maria Vassilakou als Verkehrsstadträtin hat das Projekt nicht unter Kontrolle. Sie hat Ausnahmen über Ausnahmen übereinander gestapelt, bis keiner mehr durchblickt. Eine „echte“ Fuzo muß her - oder der Zustand vor dem Probebetrieb.
Durch die verschiedensten Diskussionen kenne ich das Propagandaschema der Ich verstehe das Konzept nicht und bin generell dagegen
-Kampfposter ein bißchen. Ich hab ich mir daher die Mühe gemacht, ein paar der häufigsten Mythen zu entlarven:
- Fahrräder: Eine Fußgängerzone mit Fahrrädern kennen viele Wiener nicht. Sie sind daher empfänglich für die Propaganda, daß die neue Mariahilfer Straße nicht einmal in ihrem Kernbereich eine echte Fuzo sei. Tatsächlich regelt die Straßenverkehrsordnung (StVO) in Österreich im §76a Abs. 2, daß Fußgängerzonen wahlweise mit oder ohne Fahrradverkehr eingerichtet werden können. Es gibt nicht nur in vielen anderen österreichischen Städten, sondern auch in Wien solche Fußgängerzonen. Die führen nur deswegen nicht zu öffentlichen Diskussionen, weil sie ohne eineinhalbjährige Bürgerbeteiligung und auch nicht ausgerechnet in der Vorwahlzeit eröffnet wurden.
- Schrittgeschwindigkeit für Fahrräder: Eine besonders perverse Seitenlinie der Diskussion ist vor kurzer Zeit aufgekommen: Die in der Mariahilfer Straße erlaubte „Schrittgeschwindigkeit“ für Fahrräder sei entweder zu ungenau definiert oder (weil zu langsam) für einen Radfahrer sowieso nicht zu halten. In jedem Fall: ein versponnener, realitätsfremder grüner Einfall der Verkehrsstadträtin. Wieder hätte ein kurzer Blick in die StVO geholfen: Hier wird die Schrittgeschwindigkeit für Fahrräder (und andere Fahrzeuge) in der Fußgängerzone vorgeschrieben. Es gibt also gar keine andere Möglichkeit. Noch mehr: Die Schrittgeschwindigkeit gilt - problemlos - in allen österreichischen Fußgängerzonen für Radfahrer. Da fällt auch keiner um.
- Der Bus: Auch hier gilt, was zu den Fahrrädern gesagt wurde: Die StVO erlaubt ausdrücklich, daß Linienbusse und sogar Straßenbahnen eine Fußgängerzone durchfahren. Wieder gibt es dafür inner- und außerhalb Wiens funktionierende Beispiele. Zugegeben seltsam ist die konkrete Lösung auf der Mariahilfer Straße, weil sie zu genau geregelt ist: Die Busspur ist knallrot aufgemalt, Fußgänger dürfen nur queren, es gilt eine extra verordnete Höchstgeschwindigkeit, Fahrradfahrer dürfen nur in Fahrtrichtung des Busses, … Das ist zu viel des Guten. Sinnvoll wäre gewesen: keine Sonderregelungen. Wenn der Bus durchfährt (was er selten genug tut), geht man halt zur Seite.
- Taxis: Ich wiederhole mich: Die StVO erlaubt ausdrücklich, daß Taxis, Fiaker etc. in eine Fuzo einfahren dürfen, um Fahrgäste abzuholen bzw. hinzubringen. Tatsächlich ist mir erst durch die Diskussion um die Mariahilfer Straße bewußt geworden, daß es offenbar in Wien vereinzelt Fuzos ohne diese Regelung gibt. Ich kenne Fußgängerzonen eigentlich nicht anders. Jedenfalls: Kein „grünes Experiment“, keine Besonderheit.
- Begegnungszonen: Ah, die große Unbekannte, die Begegnungszone. Da wird besonders heftig gestritten. Tausende Tote und Verletzte müßte es schon gegeben haben, wenn es nach den Kritikern gegangen wäre. Tatsächlich waren die Begegnungszonen auf der Mariahilfer Straße die ersten, die in Wien eingerichtet wurden. Man konnte also leichtgläubigen und uninformierten Wienern gut einreden, daß sie eine Sonderkonstruktion an Vorschriften und Ausnahmen sind, die sich Maria Vassilakou eigens für diese Straßenabschnitte ausgedacht hat. Hat sie nicht. Auch die Begegnungszone ist ein Instrument der österreichischen StVO (so wie die Wohnstraße und die Fuzo) und wird in der Mariahilfer Straße einfach nur gesetzeskonform umgesetzt - so wie in vielen anderen österreichischen Städten, wo es die Begegnungszonen schon länger gibt, ganz ohne Tote und Verletzte.
- Bodenmarkierungen: Ein besonders spannendes Thema. Da gibt es Menschen, die mit einem weißen Streifen am Fahrbahnrand überfordert sind. „Was ist das jetzt auf einmal? Haben die einen Pannenstreifen hergemalt?“ Erinnerungshilfe an die Führerscheinprüfung: Ein weißer Streifen zeigt den Rand der Fahrbahn an. Genau so ist es auch dort gemeint, weil die Fahrbahn nun deutlich schmäler ist als die Fläche zwischen den zwei Gehsteigkanten. Und die gelben Linien? Auch da hat jemand in der Fahrschule nicht aufgepaßt: Halte- und Parkverbote. Beide Linientypen sind keine Besonderheiten der Mariahilfer Straße. Es ist peinlich, wenn Autofahrer die Bedeutung einer Fahrbahnbegrenzung nicht kennen.
- Was ist Fuzo, was Begegnungszone? Wohl der derzeit einzig gerechtfertigte Kritikpunkt. Wer die ganze Mariahilfer Straße entlang schlendert, fragt sich irgendwann mal: Darf ich jetzt mitten auf der Straße gehen oder nicht? Kann jetzt hier ein Auto kommen oder ist Fußgängerzone? Ganz so klar ist das für den gelegentlichen Besucher nicht. Allerdings heißt hier die Antwort: Probebetrieb. Anderswo fragt sich niemand, ob er grad noch in der Fußgängerzone ist oder schon wieder draußen. Grund sind nicht die Verkehrsschilder, sondern die meist unterschiedliche Bodenpflasterung. Genau diese Bodenpflasterung wurde ja während des Probebetriebs bewußt nicht vorgenommen, um nicht teuer umbauen zu müssen - das dürfte einigen professionellen Kritikern entgangen sein.
Unterm Strich bleibt nicht viel übrig von dem, was die Berufskritiker anprangern. Nichts ist eine grüne Erfindung, nichts ist eine extra für die Mariahilfer Straße erfundene Regelung. Beispiele dafür, daß genau das MaHü-Konzept problemlos funktioniert, gibt es genug (z.B. hier, aber eben auch auf der Mariahilfer Straße selbst). Warum dennoch in manchen Medien mit nachweislich falschen Behauptungen so massiv Stimmung gemacht wird … da kann sich wohl jeder selbst einen Reim drauf machen. :)
Zu blöd für die Demokratie
Ein ganzes Drittel der Wahlberechtigten kann von keiner einzigen Partei Ziele und/oder Wahlprogramme beschreiben. Weitere 20% wollten zu dem Thema bei der Befragung keine Angaben machen. Heißt: Man muß davon ausgehen, daß ein Drittel bei der Nationalratswahl das Kreuzerl ohne Hirn und Verstand irgendwo hinwürfelt, daß insgesamt 50% über politische Inhalte nicht reden können oder wollen und daher nie in die Situation kommen, eine (womöglich meinungsbildende) politische Diskussion zu führen.
Die Annahme, daß diese komplett Uninformierten auch nicht zur Wahl gehen werden, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Wahlbeteiligung war dafür selbst bei den letzten zwei Nationalratswahlen noch viel zu hoch. Selbst wenn ausnahmslos alle Nichtwähler aus dem Pool der Uninformierten kämen (wofür es keinen Beleg gibt), wären immer noch 15% der abgegebenen Stimmen von Menschen, die keiner einzigen Partei irgendeinen Inhalt, irgendein Ziel zuordnen können. Erscheint 15% irgendjemandem wenig? Das entspricht einer Partei in der Größenordnung der FPÖ und ist weit mehr, als Grüne oder BZÖ zusammengebracht haben. Mit etwas Glück (bzw. eben: Pech) können diese 15% der Wahlberechtigten einen Regierungspartner in die Koalition hieven. Ohne zu wissen, wen oder was sie da gewählt haben!
Ich halte das für extrem gefährlich und verantwortungslos. Die Wahlentscheidung ist ja nicht eine, die man nur für sich trifft (so wie die Wahl zwischen zwei Kuchensorten am Buffet). Die Wahlentscheidung betrifft alle in diesem Land.
Hab ich schon mal gesagt, daß ich für einen kurzen Multiple-Choice-Test am Stimmzettel bin, der mit einfachsten Fragen das politische Interesse des Wählers abtastet? Zu viele falsche Antworten - Stimme ungültig. Wer bezweifelt, daß jemand ernsthaft an ganz simplen Fragen scheitern könnte (z.B. „Wer wird heute gewählt? a) der Landeshauptmann b) das Parlament c) der Bürgermeister“), der sollte mehr in online-Communities rumlesen. Da haben sich vor kurzem Menschen dazu bekannt, am 29. September Häupl und Vassilakou aus dem Rathaus wählen zu wollen …
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Fuzo-Vergleich mit Wien: 1:0 für Linz
Mir war aber bis heute nicht klar, wie weit die Parallelen der seit langer Zeit bestehenden Fußgängerzone auf der Linzer Landstraße mit der neuen Mariahilferstraße wirklich gehen. Ein kurzer Stadtbummel in Linz hat mich heute darauf aufmerksam gemacht:
- Beide Fußgängerzonen haben in etwa eine gleich hohe Frequenz. Die Linzer Landstraße hat, obwohl kürzer und schmäler, rund 80% der Besucherzahl der Mariahilfer Straße.
- Beide Fußgängerzonen werden von öffentlichen Verkehrsmitteln durchfahren. Die Landstraße von drei Straßenbahnlinien (heute: von Gelenkbussen) in beide Richtungen, die Mariahilfer Straße von einer Buslinie nur in eine Fahrtrichtung.
- Beide Fußgängerzonen dürfen von Radfahrern befahren werden.
- In beiden Fußgängerzonen dürfen Taxis fahren.
- Für beide Fußgängerzonen gelten zeitlich beschränkte Regelungen für den Lieferverkehr.
- Beide Fußgängerzonen gehen anschließend in Begegnungszonen mit schmaler Fahrbahn und breitem Fußgängerbereich über, die ebenfalls von öffentlichen Verkehrsmitteln durchfahren werden.
Was ist der Unterschied zwischen Wien und Linz? In Linz ist nie jemand auf die Idee gekommen, theoretische Probleme zu konstruieren, bevor dann in der Praxis eh nichts passiert. Man hat einfach gemacht und hat gesehen, daß es gut geht.
Die Wiener Mundls hingegen sind völlig panisch, daß sich in ihrer versoffenen Stadt irgendetwas zum Guten ändern könnte. Sie konstruieren die abstrusesten Gefahrenszenarien. Bevor noch der erste Bus in die Mariahilfer Straße eingebogen, der erste Radfahrer gefahren ist, sind sie schon sicher: Das wird ein Gemetzel, da wird Blut fließen! Eine knallrot markierte Busspur, ein lauter Dieselmotor, als Begrenzung aufgestellte Bänke … das wird alles nicht ausreichen, damit wir Wiener einen mit vielleicht sogar vollen 20 km/h heranrasenden Bus als solchen erkennen und ihm ausweichen. Ganz sicher nicht, dafür sind wir einfach zu blöd!
Und die Taxis erst! Um Gottes willen, die Taxis! Die können sich unmöglich sicher durch die Fußgängerzone bewegen! Viel zu gefährlich, auch für die Fahrer! (Warum kein einziger Fahrer eines Lieferfahrzeugs, sogar eines LKW, weder in der Mariahilfer Straße noch in sonst einer Fuzo jemals ein Problem hatte, die Taxi- und Busfahrer aber schon, das versteht keiner so recht.)
Mir hat der gemütliche Spaziergang durch die Landstraße aus mehreren Gründen gefallen. Ich gebe aber zu: Der Hauptgrund war, daß mir bewußt geworden ist, wie brunzdeppat die Wiener VP/FP in dieser Sache agieren und wie toll wirs in Linz haben, wo exakt das für die Mariahilfer Straße vorgesehene Konzept seit Jahren umgesetzt ist und ein Vielfaches an Lebensqualität bringt.
Ort anzeigen auf: Google Maps,
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Ergebnis Nationalratswahl 2013
Im Gegensatz zu früheren Jahren scheinen mir die Fragen heuer irgendwie nebensächlich. Sie gehen an den großen Themen vorbei, jedenfalls für mich. Vor allem sind sie manchmal zu undifferenziert gestellt. Trotzdem ergibt sich ein (auch im Vergleich zu meinem Ergebnis 2008) nicht so überraschendes Bild. Ich habe alle Werte so weit angehoben, daß auch die Partei mit der geringsten Übereinstimmung auf 0 Punkte kommt (tatsächlich sind es -52 Punkte). Mithilfe der ganzen positiven Zahlen konnte ich dann so etwas wie eine virtuelle Stimmenverteilung errechnen, und zwar:
Partei | % 2013 | % 2008 |
Grüne | 24% | 26% |
KPÖ | 22% | 23% |
Piraten | 18% | - |
NEOS/LIF | 14% | 24% (LIF) |
SPÖ | 11% | 18% |
Team Stronach | 8% | - |
BZÖ | 4% | 1% |
ÖVP | 0% | 8% |
FPÖ | 0% | 0% |
(Falls sich jetzt jemand fragt, warum die Parteien in Summe 101% der Stimmen erreichen: Ich hab gerundet.)
Ich wundere mich, daß das TS und die Piraten so gut liegen. Bei beiden Parteien hab ich bisher wenig an politischen Inhalten wahrgenommen, außerdem ist Stronach … naja, er ist eben Stronach.
Ansonsten bleiben Grüne, KPÖ und vor allem die gute alte FPÖ fast stabil, während die ÖVP und die LIF-Reste einen auffälligen Absturz hinlegen.
Wie immer bei der Wahlkabine gilt eben: Sie deckt nur einen Teilbereich ab und kann manche Aspekte (wie z.B. Vertrauen in die handelnden Personen) gar nicht berücksichtigen.
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Die Mahü testen
Natürlich ist eins klar: Ein 30°-Tag an einem verlängerten Wochenende ist vielleicht nicht repräsentativ für die Situation. Andererseits: Es ist Samstag, also Einkaufstag, und offenbar sind wir nicht die einzigen, die extra zum „Mahü-Schauen“ da sind. Die Straße ist voll, ein Kellner berichtet von überdurchschnittlicher Frequenz. Vielleicht ist der heutige Eindruck also doch nicht ganz so weit weg von dem, was sich ab Montag hier abspielen wird.
The Good
Was sofort auffällt und überrascht: Die (auch von mir) kritisierten Begegnungszonen an beiden Enden der eigentlichen Fußgängerzone funktionieren prächtig. Das ist insofern bemerkenswert, als es die ersten in Wien sind und daher niemand Routine im Umgang mit diesen Verkehrsflächen hat. Wir haben uns in einer dieser Zonen in einen Schanigarten gesetzt und hatten so Gelegenheit, ein bißchen genauer hinzusehen. Autofahrer halten sich zu über 80% an die 20 km/h-Beschränkung. Den einen oder anderen hab ich sogar dabei erwischt, wie er aus dem immer langsamer rollenden Wagen die Auslagen angesehen hat. Drive-Through Window Shopping, ganz neu.
Radfahrer haben den Abschnitt sofort für sich erobert. Statt wie bisher ängstlich auf den äußersten 20cm der Fahrbahn zu balancieren, fahren sie selbstbewußt in der Mitte, ganze Familien auch mal nebeneinander. Stichwort Familien: Kinder! Ich kann mich nicht erinnern, jemals irgendwo in der Stadt so viele Kinder auf ihren Rädern gesehen zu haben. Auch neu: Die Fußgänger-/Radfahrer-Paarung, die jetzt gern auf die Fahrbahn ausweicht. Ein oder zwei Fußgänger sind gemeinsam mit einem Radfahrer unterwegs, der im Schrittempo neben ihnen her rollt. Sogar zwei Segway-Fahrer waren dabei. Alles geht, niemanden störts.
Fußgänger verwenden die Begegnungszone erwartungsgemäß (und gottseidank) nicht als Ersatz für den Gehsteig. Das wär nun doch reine Provokation. Was allerdings passiert: Die Straßenquerung mit dem Einkaufssackerl in der Hand erfolgt nicht mehr gehetzt und im 90°-Winkel. Stattdessen geht man auch mal den kürzesten Weg zwischen zwei Geschäften, wenn dieser sehr schräg über die Straße führt. Ein Papa hat sich mitten auf der Fahrbahn ruhig nach dem Spielzeug gebückt, das aus dem Kinderwagen geflogen kam. Vor allem aber: Ampeln, Zebrastreifen, alles Schnee von gestern. Man quert dort, wo man muß, nicht wo es der Autoverkehr diktiert.
Schließlich natürlich: heilige Ruhe! Obwohl Autos und sogar ein Linienbus fahren, ist der Aufenthalt im Schanigarten ein Genuß. Die Begegnungszone ist eine Einbahn und endet wenige Meter weiter bei der Fußgängerzone. Wer hier noch durchfährt, will in eine der zwei noch offenen Seitengassen. Es gibt öffentliche Parkplätze, auf denen sich mehr abspielt. Sogar der Taxifahrer, der uns schließlich nach dem Einkauf beim Leiner abholt, zeigt sich positiv überrascht: Schaun Sie her! Da hätt ich früher nie umdrehen können, einfach so mitten auf der Straße! Da hätten alle wie wild gehupt, nein, das hätt ich gar nicht erst probiert. Und jetzt? Der bleibt echt stehen da hinten. Na, das kann schon was werden.
Die Fußgängerzone selbst hält im Grunde wenig Überraschungen bereit. Es ist ja nicht die erste in Wien, auch wenn manche so tun. Aber auch hier fällt sofort auf: Geil! Wie ruhig es ist! Früher war die gesamte Mariahilfer Straße ein Ort, von dem man nach getaner Shopping-Arbeit möglichst schnell weg wollte, weil er Stress verursacht hat. Jetzt wirkt alles friedlich und macht Lust darauf, das Tempo zu verlangsamen und irgendwo noch einen Eiskaffee zu genießen.
The Bad
Es ist mir bewußt, daß der laufende Versuch eben nur ein vorläufiges Provisorium ist und sich der Aufwand für bauliche Anpassungen daher in engen Grenzen halten muß. Trotzdem hätte man mehr tun können. Beispiel: In den Begegnungszonen verschmälert sich die Fahrbahn durch den Wegfall der Parkplätze. Der gewonnene Raum wäre zumindest laut Bodenmarkierung so etwas wie eine Erweiterung des Gehsteigs. Daß diese 1½ Meter derzeit kaum jemand nutzt, ist nur zu verständlich. Schließlich ist das Wechseln vom Gehsteigniveau runter auf die Straße und dann wieder zurück irgendwie affig. Genau an dieser optischen Bruchstelle, am Randstein, sind aber alle Schanigärten aufgefädelt. Sie verengen den Gehsteig unnötig und sorgen nach wie vor für das Gedränge, das man ja entschärfen wollte. Jetzt endlich hätte man die Möglichkeit, sie etwas weiter zur Straßenmitte zu rücken oder auch zu erweitern. Ich hätte mir gewünscht, daß die Stadt den betroffenen Wirten bis zum Ende der Saison ein ensprechendes Angebot gemacht und die Änderung auf eigene Kosten gleich mit den Bodenmarkierungsarbeiten umgesetzt hätte. (Man muß ja nur den Niveauunterschied im Schanigarten ausgleichen.) Es wird nichts schlechter dadurch, daß das nicht passiert ist … es wird aber auch eine Verbesserung, die spätestens mit den Bodenarbeiten 2014 einsetzen wird, nicht schon jetzt für Passanten sichtbar. Gelegenheit vertan.
Gleiches Thema in der Fußgängerzone selbst. Man hätte zumindest pro forma so tun können, als würde man eine Fußgängerzone gestalten und nicht nur ein Experiment zur Einbahnregelung. Zwar gibt es gelegentlich zusätzliche Sitzgelegenheiten, von denen ich nicht sicher bin, ob sie vorher schon da waren, aber das ist zu wenig. Wenigstens ein Blumentopf mit Klappstuhl daneben in der Straßenmitte hätte es sein dürfen. Die Menschen brauchen etwas, was ihnen hilft, sich das fertige Bild vorzustellen.
Auch irgendwie unnötig: Die Polizisten, die einem alle drei Minuten paarweise entgegenkommen. Obwohl die Verantwortlichen hier ausgesprochen ansehnliche Exemplare ausgesucht haben, vermittelt die unerklärbare Präsenz der Uniformen doch Unwohlsein. Man hat das Gefühl, als würden die Beamten jeden Moment einschreiten, um die nicht angemeldete Shopping-Demonstration aufzulösen. (Offiziell müssen die armen Kerle dort bei 30° rumstehen, weil es angeblich zu Mißverständnissen kommt, wo man fahren darf und wo nicht. Ich habe keine solchen Mißverständnisse erlebt und würde mich auch sehr wundern, wenn alle Wiener Autofahrer über Nacht die Bedeutung der Verkehrszeichen verlernt hätten.)
The Ugly
Nix. Nix ugly. Nicht die von vielen verfluchte Busspur (wer darüber schimpft, ist noch nie über die Grenzen von Wien hinaus gekommen), nicht der Verkehr in den Seitengassen (alles ruhig), nichts fällt wirklich negativ auf.
Wie gesagt, die eigentliche Bewährungsprobe steht noch aus. Am Montag wird das Viertel wieder von allen gestürmt, die jetzt übers verlängerte Wochenende weg oder wegen der Hitze auf der Donauinsel waren. Es kann durchaus sein, daß das Konzept dann unter Druck versagt. Zumindest heute aber, an einem atypischen Einkaufssamstag, hat es sich recht gut bewährt.
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